Über schwedische Kirchenbücher


Rückblicke

Im Jahr AD 519 zitiert St. Severus von Antioch in seinem Werk Adversus apologiam Juliani eine Schrift von Pseudo-Dionysius Aeropagita. In dieser soll Letzterer beschrieben haben, dass die Täuflinge und deren Gevatter auf Listen aufgeschrieben wurden, welche unmittelbar vor der Taufe verlesen wurden. Nach der Taufe wurden die Namen der Getauften und der Paten in Taufbücher übertragen. Dieses wären somit die ältesten erwähnten Kirchenmatrikeln.

Die ältesten erhaltenen Kirchenbücher stammen aus Givry in Frankreich mit Aufzeichnungen über Beerdigte (1334-1348) sowie Trauungen (1336-1357) und aus Gemona in Italien: einem Taufbuch mit dem Anfangsjahr 1379. Die ältesten erhaltenen englischen Taufbücher (1464) stammen aus Canterbury und der Independent Church. In Deutschland sollen die ältesten überlieferten Taufmatrikel aus Rheine stammen (vermutlich 1345). Der Gebrauch von verschiedenen Formen von Kirchenbüchern kam somit bereits schon lange vor der Reformation vor. Die Führung dieser Matrikel war eine rein kirchliche Sache. Wie die katholischen Kirchenbücher geführt werden sollten, wurde 1614 im Rituale Romanum formalisiert.

Evangelische Kirchenbücher wurden bereits kurz nach der Reformation geführt. Das älteste bekannte ist ein Traubuch aus Zwickau (1522). Die älteste Matrikel in Pommern (Wolgast) hat das Anfangsjahr 1538. Bereits 1533 erschien die erste lutherische Kirchenordnung, die Nürnberg-Brandenburgische, in welcher die Führung der Bücher vorgeschrieben wird. Mehr hierzu findet man unter Kirchenbuch.

Deutsche und schweizerische Kirchenordnungen

Wichtig für das Verständnis der Unterschiede zwischen den deutschen und schwedischen Kirchenbüchern scheinen die Beweggründe zu sein, aus welchen Kirchenbücher in den evangelischen Gemeinden geführt wurden. Wenn man die Kirchenordnungen in verschiedenen deutschsprachigen Gebieten studiert, erhält man den Eindruck, daß es außer den ritualformalen Gründen vor allem der "Konkurrenzkampf" um die Seelen war. Man wollte sicherstellen, daß man wußte, wer die Mitglieder des eigenen "Vereins" waren. Man wollte ferner die Wiedertäufer bekämpfen. So schrieb der Magistrat in Zürich auf Empfehlung von Zwingli 1525 vor, daß Tauf- und Trauregister geführt werden müssen. Im Zweiten Helvetischen Bekenntnis von 1536, einer Nachfolgeordnung, heißt es dann: "Wir wenden uns gegen die Wiedertäufer, die nicht zugeben, daß die neugeborenen Kindlein der Gläubigen getauft werden sollen. /…/ Wir verwerfen auch alle anderen Lehren der Wiedertäufer, die entgegen Gottes Wort eigene Fündlein enthalten. Wir sind also nicht Wiedertäufer und haben mit ihnen rein nichts gemein" (Confessio Helvetica Posterior, XX. Kapitel: Die Heilige Taufe). Man befürchtete somit weniger die Konkurrenz der katholischen Kirche als die der Anabaptisten, denen die Reformation nicht weit genug ging und die unter anderem eine strikte Trennung zwischen sakraler und profaner Obrigkeit, zwischen Kirche und Staat, verlangten. Das widersprach jedoch völlig den Machtansprüchen der herrschenden Klassen, des Adels, der Patrizier und der Kirchenoberhäupter. Dieses kommt sehr deutlich in der Confessio Augustana, dem Augsburger Bekenntnis von 1530, zum Ausdruck (Artikel 16: Von der Polizei und dem weltlichen Regiment).

Diese Gedanken wurden später in der Kirchenordnung von 1566 für Kurhessen übernommen, wo es heißt: "vmb der Widderteuffer vnnd andere Secten willen, so sich etwa wegern oder vor vnötig achten kinder zu Teuffen" sollen Matrikel über Taufen nach detailierten Vorschriften geführt werden. Diese Begründung wurde 1602 auch in der Kirchenordnung für Mecklenburg angegeben und in anderen Kirchenordnungen.

In diesem Zusammenhang muß ferner beachtet werden, daß Deutschland sowohl politisch wie auch konfessionell ein Flickwerk war. Es gab eine Unzahl von Staaten und Kleinstaaten, welche entweder katholisch oder lutherisch oder auch kalvinistisch waren. Sowohl Staat wie auch Kirche bewachten in jedem Staat und "Städtle" sorgfältig ihre jeweiligen Rechte und Privilegien.

Schwedische Kirchenordnung

Anders war es jedoch in Schweden. Zwar folgte die schwedische Reformation anfangs im wesentlichen der Entwicklung in Deutschland: 1526 erschien das Neue Testament in schwedischer Sprache, 1529 kam das erste schwedische Kirchenhandbuch mit Vorschriften zum Gottesdienst heraus, 1572 nahm die Landessynode in Uppsala die erste schwedische Kirchenordnung und 1593 das "Augsburger Bekenntnis" an. In strikter Übereinstimmung mit der Confessio Augustana war nur das Luthertum zugelassen; der Katholizismus, Kalvinismus und die Zwinglianer sowie die Wiedertäufer waren verboten und verbannt. Die schwedische Kirche wurde zur echten Staatskirche.

1596 legt der Bischof Abraham Angermannus in Linköping den Pfarrern seines Stiftes auf, Kirchenbücher zu führen. Die Vorschrift ist nicht erhalten, jedoch kann man sich anhand der noch existierenden Kirchenbücher ein gutes Bild davon machen, was vorgeschrieben war. Im Jahr 1622 erläßt Bischof Johannes Rudbeckius in Västerås eine Vorschrift, daß man Buch über alle Mitglieder einer Gemeinde führen sollte. Er ordnete an, daß jede Gemeinde "eine Volksliste über alle, die über 10 Jahre alt sind, vorzulegen hat, wenn der Bischof visitiert:

1)Hausherr, 2) Ehefrau, 3) Söhne, 4) Töchter, 5) Eltern oder Schwiegereltern, 6) Brüder und Schwestern, 7) Knechte, 8) Mägde, 9) Einlieger."

Rudbeckius Statuten wurden später normbildend für alle Stifte in Schweden.

Die Liste der Gemeindemitglieder, auf Schwedisch: husförhörslängd, auf Deutsch: Katechesationsmatrikel oder Seelenrevision, wurde nun sozusagen das Hauptbuch. Um es zu unterhalten benötigte man "Nebenbücher" über Geburten, Taufen, Trauungen, Zu- und Abzug und Todesfälle, in welchen die Amtshandlungen des Pfarrers von diesem notiert wurden.

Während in Deutschland und in Europa die Kirchenbücher ausschließlich für kirchliche Zwecke geführt wurden, machte sich die weltliche Verwaltung in Schweden die Kirchenbücher sehr bald zu Nutzen.

1544 hatte man in Schweden, um Geld für Söldner zu sparen, eine jährliche Aushebung von wehrfähigen Männern beschlossen. 1623 führte man das s.g. "ältere Einteilungswerk" (äldre indelningsverket) ein. Schweden wurde in neun Aushebungsbezirke eingeteilt; Statthalter waren für die Ausschreibungen verantwortlich. Behilflich hierbei waren die Pfarrer der Gemeinden. Sie mußten anhand der Seelenrevisionen (husförhörslängder) Listen über kriegstaugliche Männer erstellen, welche die Unterlagen für die Einberufungen ausmachten.

Offensichtlich funktionierte dieses System nicht zufriedenstellend, denn bei einer Sitzung des Reichsrates am 3. oktober 1643 diskutierte man die Frage der Aushebung von Soldaten und der Reichsadmiral Carl Carlsson Gyllenhielm meinte, daß "da so viele Leute sich vor der Aushebung drücken, der Pfarrer in jedem Kirchspiel verzeichnen sollte, wie viele geboren wurden und wer starb und wohin sie verschwanden". Der Vorschlag des Reichsadmirals wurde nicht angenommen, da man nicht glaubte ein Kirchenbuchführungssystem einführen zu können, das der Verwaltung Genüge tat.

1682 wurde das Einteilungswerk erneut reformiert. Die Provinzen verpflichteten sich, Regimenter aufzustellen und zu unterhalten. Das Aushebungssystem wurde durch das "rotesystem" (rote = Rekrutierungsbezirk) ersetzt. Die Pfarrer brauchten nicht mehr Listen für die Aushebung zu schreiben; jedoch mußten sie jetzt die Bezeichnung der "rote" für jedes Anwesen der "Rotebauern" in den Seelenrevisionen angeben und die Soldatenkaten nebst deren Einwohnern in den Seelenrevisionen verzeichnen.

1686 wurde ein neues Kirchengesetz erlassen, daß bis 1993 gültig war. In diesem Gesetz, über welches der Klerus nicht befragt wurde und welches 1687 in Kraft trat, wurde nun die Führung von Kirchenbüchern im Kapitel XXIV, § 8, detaliert vorgeschrieben. Mit diesen Regeln schaffte man die Voraussetzung dafür, daß die Kirchenbücher so vollständig geführt wurden, daß diese auch für andere als kirchliche Zwecke Nutzen hatten: u. a. für fiskale.

1693 wurde in einer Instruktion an die Meldeamtskommissarie, die zum Fiskus gehörten, vorgeschrieben, daß die Pfarrer bei der jährlichen Kontrolle der mantalslängder (fiskale Einwohnerlisten) teils die Kirchenbücher vorzulegen hatten und teils die mantalslängder mitunterschreiben mußten.

1723 kam eine Vorschrift, die es den Eltern und Vormündern auferlegte, den Kindern das Lesen beizubringen. Die Kenntnisse der Erwachsenen und Kinder im Lesen wurden bei der jährlichen Katechesation geprüft und in den Seelenrevisionen notiert.

1749 wurde das s.g. tabellverk ("Tabellenamt"), das heutige Statistische Zentral-Bureau (SCB), eingerichtet, welches u. a. Volkszählungen durchführte. Die "Tabellen" mußten von den Pfarrern anhand der Seelenrevisionen erstellt werden. Ab 1780 führte man vorgedruckte Formulare für diesen Zweck ein. Ab 1804 mußten in den Tabellen auch verzeichnet werden, wie viele Kinder gegen Pocken geimpft waren. Angaben hierüber kann man in Seelenrevisionen und in den flyttintyg (Umzugsbescheinigungen) finden.

Im Unterschied zu Deutchland verstand es die Krone Schweden bereits seit Ende des 16. Jahrhunderts, die Pfarrer für weltliche Zwecke auszunützen. Dieses war nur möglich, weil die Schwedische Kirche eine Staatskirche war.

Schwedische Kirchenbücher

Die schwedischen Kirchenbücher werden in zwei Gruppen aufgeteilt:

  • Husförhörslängder (Seelenrevisionen, Einwohnerlisten)
  • Ministerialböcker (Kirchenbücher über die Amtshandlungen des Pfarrers)

Diese Kirchenbücher haben folgende offizielle Bezeichnungen:

  • AI  Seelenrevisionen (husförhörslängder)
  • B   Umzugsregister (flyttningslängder)
  • C   Geburtenbücher (födelse- och dopböcker)
  • E   Traubücher (lysnings- och vigselböcker)
  • F   Sterbebücher (död- och begravningsböcker)

Das vermutlich älteste schwedische Kirchenbuch 1451-1648 stammt aus dem Kirchspiel Bolstad in Dalsland und umfasst die Rechenschaften des Pastorates.

Der vermutliche älteste schwedische Erlaß, Kirchenbücher zu führen, stammt aus dem Jahr 1608.

Literatur

  • Gösta Lext: "Studier i svensk kyrkobokföring 1600-1946", Göteborgs Universitet, Göteborg 1984
  • Per Clemensson/Kjell Andersson: "Släktforska steg för steg", Natur och Kultur, Stockholm 2005

Copyright © 2008 Jürgen Weigle.